Doppelte Grenzen überwinden.

Inklusion von Geflüchteten mit Beeinträchtigungen

NCBI bietet ein neues innovatives Projekt mit Unterstützung des EBGB an, um Geflüchtete Menschen mit Beeinträchtigungen („Behinderungen“) zu unterstützen. Es gibt drei Teilprojekte zu den Themen:

  1. Advocacy
  2. Einzelhilfe und
  3. Weiterbildung und Information für Fachstellen (z.B. Sozialdienste, Betreuung).

Hintergrund

Geflüchtete Menschen mit Beeinträchtigungen müssen doppelte Grenzen und Hindernisse überwinden: Zum einen gehören dazu die Hindernisse, mit welchen alle Geflüchtete im Aufnahmeland konfrontiert sind, wie zum Beispiel die neuen Regelstrukturen, das Erlernen einer Fremdsprache, Vorurteile von Seiten der einheimischen Bevölkerung, Missverständnisse, Diskriminierungen, etc. Bei geflüchteten Menschen mit Beeinträchtigung kommt zu diesen bereits bestehenden Herausforderungen noch zusätzlich ihre persönliche körperliche, psychische oder geistige Beeinträchtigung dazu. Sie sind auch mit allen Barrieren konfrontiert, die für alle Menschen mit Beeinträchtigung bestehen, ihre Teilhabe an der Gesellschaft erschweren und eine effektive Gleichstellung verhindern. Ausserdem kommen auch Herausforderungen dazu, die sie auch mit Einheimischen mit Beeinträchtigungen nicht teilen: so ist beispielsweise ihr Zugang zu Leistungen der IV nur möglich, wenn sich ihre Beeinträchtigung nach der Einreise in die Schweiz verschlimmert hat. Oder sie leiden darunter, dass die für sie zuständigen Personen bei den fallführenden Stellen zu wenig Kenntnisse und Informationen über die Thematik verfügen.

Dabei handelt es sich um eine typisch intersektionale Problematik: für Geflüchtete mit Beeinträchtigungen ergibt sich eine einzigartige Ausgangslage. Dies zeigt sich insbesondere auch darin, dass nur sehr wenige Fachpersonen und Institutionen über ein angemessenes Wissen über die spezifischen Bedürfnisse und Herausforderungen dieser Gruppe und der sie pflegenden Angehörigen verfügen: Organisationen aus dem Bereich Asyl/Flucht sind wenig vertraut mit den Bedürfnissen von Menschen mit Beeinträchtigungen; und die Verbände und Organisationen, die sich für die Gleichstellung von Menschen mit Beeinträchtigungen einsetzen, verfügen oft über (zu) wenig Erfahrung und Wissen über asylpolitische und migrationsspezifische Kontexte. Es fällt deshalb wenig überraschend auf, dass bei geflüchteten Personen mit Beeinträchtigung der Integrationsprozess im Vergleich zu geflüchteten Personen ohne Beeinträchtigung oft sehr verzögert stattfindet – geflüchtete Personen mit Beeinträchtigung benötigen mehr Zeit und Ressourcen für den Spracherwerb, die Integration in den schweizerischen Arbeitsmarkt und den Aufbau von Netzwerken mit Einheimischen. Dies behindert nicht nur die geflüchteten Menschen mit Beeinträchtigung selbst, sondern auch ihre Familien: Oft haben pflegende Angehörige von Geflüchteten mit Beeinträchtigung keine Zeit, sich um die eigene Integration zu bemühen, da sie viel Zeit und Ressourcen für die Betreuung aufwenden müssen.

Für die Schweiz liegen kaum Studien oder Forschungsergebnisse zu den Bedürfnissen dieser Zielgruppe vor. Im Rahmen der Recherche und Bedarfsabklärung für dieses Projekt haben wir deshalb zahlreiche Gespräche mit Fachpersonen, Betroffenen und Organisationen geführt und auch bereits eine erste Veranstaltung für Betroffene und ihre Angehörigen organisiert, um Informationen aus erster Hand zu sammeln. Bei diesen Aktivitäten hat sich deutlich gezeigt, dass es für geflüchtete Menschen mit Beeinträchtigung sowie für die Personen, die sie unterstützen, unbedingt niederschwellige Unterstützungs- und Entlastungsprogramme braucht. Es fehlt sowohl bei den Betroffenen und ihren Angehörigen als auch bei den sie betreuenden und begleitenden Stellen an Beratung, an Unterstützung und oftmals auch an Wissen über die Rechte der Betroffenen sowie über die Möglichkeiten, wie und von wem unterstützende Massnahmen oder notwendige Hilfsmittel finanziert werden können.

Das Projekt „Doppelte Grenzen überwinden“ von NCBI Schweiz setzt sich deshalb für die Verbesserung der Integration und Gleichstellung von geflüchteten Menschen mit Beeinträchtigungen ein. Ziel ist es, Barrieren abzubauen und eine gleichberechtigte Teilhabe dieser Personengruppe an der Gesellschaft zu fördern. Dabei stehen drei zentrale Massnahmen im Fokus:

  1. Erfahrungen und Empfehlungen aus der Praxis: Im Teilprojekt Unsere Stimmen werden in enger Zusammenarbeit mit geflüchteten Menschen mit Beeinträchtigungen Erfahrungsberichte gesammelt. Diese fliessen in die Entwicklung von konkreten Empfehlungen ein, wie die Gleichstellung und Inklusion der Betroffenen verbessert werden können. Diese Empfehlungen werden durch öffentliche Veranstaltungen und Gespräche mit relevanten Institutionen verbreitet, um ein größeres Bewusstsein und Verständnis für die Anliegen dieser Zielgruppe zu schaffen. Das Projekt trägt dazu bei, die Rahmenbedingungen – politisch und institutionell – für die Betroffenen zu verbessern und sowohl geflüchtete Personen als auch die einheimische Bevölkerung für die Belange von geflüchteten Menschen mit Beeinträchtigungen zu sensibilisieren und bestehende Diskriminierungen abzubauen.
  2. Brückenbauer:innen als Unterstützungsnetzwerk: In einem weiteren Teilprojekt des Projekts ist der Aufbau eines Teams von Brückenbauer:innen, die sich auf die besonderen Bedürfnisse von geflüchteten Menschen mit Beeinträchtigungen spezialisiert haben. Nach einer umfassenden Weiterbildung werden diese Fachpersonen, die selber geflüchtet sind und zu den Betroffenen einfacher Vertrauen aufbauen können, in der Lage sein, gezielte Beratung und Unterstützung für Einzelpersonen und ihre Angehörigen zu leisten. Sie helfen den Betroffenen, ihre Rechte besser zu verstehen und wahrzunehmen, und stärken sie, um sich aktiv in gesellschaftliche und politische Prozesse einzubringen, sei es in Elterngespräche, bei behördlichen Gesprächen oder in anderen Mitwirkungsformaten. Dabei orientieren sie sich an Zielen, die gemeinsam mit den Klient:innen und den fallführenden Stellen erarbeitet wurden.
  3. Weiterbildung für Fachpersonen: In der Praxis wird immer wieder festgestellt, dass vielen Fachpersonen das Wissen über die rechtlichen Grundlagen und die möglichen Angebote fehlt; dies liegt teilweise daran, dass dieses Grundlagenwissen sehr komplex ist und nicht nur bezüglich Aufenthaltsstatus und Art der Beeinträchtigung, sondern auch aufgrund des Herkunftslandes unterschiedlich ist. Um die Integration und Gleichstellung von geflüchteten Menschen mit Beeinträchtigungen weiter zu fördern, soll deshalb ein Informations- und Weiterbildungsangebot für Fachpersonen entwickelt werden. Dies umfasst Informationen zur rechtlichen Situation der Betroffenen sowie konkrete Hinweise zur Beantragung von Unterstützung und Hilfsmitteln. Durch die Erweiterung ihres intersektionalen Wissens können Fachkräfte die Bedürfnisse von geflüchteten Menschen mit Beeinträchtigungen besser verstehen und effektiver unterstützen.

Dieses Projekt von NCBI Schweiz leistet einen wichtigen Beitrag zur Förderung der sozialen Teilhabe, indem es gezielt die Bedingungen für die Integration von geflüchteten Menschen mit Beeinträchtigungen verbessert und aufzeigt, wie diese in der Gesellschaft gleichberechtigt teilnehmen können.

Finanzierung und Unterstützung: Das Projekt ist vom Eidgenössischen Büro für die Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen (EBGB) teilfinanziert.

Team und Kontakt

Projektkoordination und Vertretung des Koordinationsteams «Unsere Stimmen»:

Mahtab Aziztaemeh (mahtab.aziztaemeh@ncbi.ch), Shishai Haile (shishai.haile@ncbi.ch), Peter Mozolevskyi (peter.mozolevskyi@ncbi.ch)

Projektleitung: Ron Halbright (ron.halbright@ncbi.ch); Andi Geu (andi.geu@ncbi.ch)

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