«Unterschiedlich unterwegs»

Studie zur Integrationsagenda Schweiz zeigt, wie Geflüchtete den Einstieg in die Bildung und den Beruf eher schaffen können

Seit 2019 wird die Integrationsagenda Schweiz von den Kantonen umgesetzt, um Bildung, Berufseinstieg und Integration von Geflüchteten in der Schweiz zu unterstützen. Eine von NCBI Schweiz* und dem Schweizer Flüchtlingsparlament* in Auftrag gegebene Studie der Universität Neuchâtel vergleicht die Umsetzung dieser Integrationsagenda national und insbesondere in sieben Kantonen und zeigt erstmals auf, wie unterschiedlich die Kantone die Massnahmen zur Förderung des Berufseinstiegs und der Integration gestalten. Ausserdem lassen sich daraus Empfehlungen ableiten, wie diese vorbildlich gefördert werden können!

Interessierte Personen aus Behörden, Politik und Medien können die Studie «Unterschiedlich unterwegs. (Aus)Bildung für junge Geflüchtete mit Fokus auf spezifischer Integrationsförderung: ein Mapping» unter dem Link auf Seite 2 herunterladen. Für Medienschaffende besteht auch die Möglichkeit, Hintergrundgespräche mit dem Autor:innen-Team oder Betroffenen zu führen.

Dass es von Vorteil ist, wenn Geflüchteten der Sprung in die Arbeitswelt gelingt und sie so ihren eigenen Lebenslauf bestreiten können, ist unbestritten: zum ersten lassen sich öffentliche Gelder bei der Sozialhilfe einsparen. Zum zweiten ergibt sich so auch ein beträchtliches Potential, um den vielerorts beklagten Arbeitskräftemangel zu beheben. Und zum dritten entspricht es natürlich auch dem Wunsch der Geflüchteten selber, eine positive Lebensperspektive zu entwickeln, sich und ihre Familien versorgen und in der Schweiz als Aufnahmeland einen Beitrag leisten zu können. Mit der Integrationsagenda Schweiz (IAS) werden seit 2019 die Bemühungen in diesem Bereich erweitert. Trotzdem liegt hier weiterhin ein grosses Potential brach. Nichtsdestotrotz kommt die Hauptautorin der Studie, Denise Efionayi-Mäder von der Universität Neuchâtel zur Einschätzung: «Wenn alle Involvierten bei der Bildungsförderung einigermassen am gleichen Strick ziehen, können sie mit den vorhandenen Mittel viel bewirken. Dies zeigen verschiedene vielversprechende Modelle.» Mahtab Aziztaemeh vom Flüchtlingsparlament Schweiz ergänzt: “Bildung ist für Geflüchtete aus allen Ländern ein sehr wichtiges Thema – es entscheidet darüber, wie wir hier in der Schweiz Fuss fassen und unser Potential in unsere neue Heimat einbringen können!”

Der Mapping-Bericht vergleicht die Umsetzung der Integrationsagenda national und vertieft in sieben verschiedenen Kantonen (AG, BE, SH, SZ, VS, ZG und ZH) – er zeigt somit auf, welche Handlungsspielräume bei der Umsetzung der IAS bestehen und wie und wo dem Recht auf Bildung für Geflüchteten vorbildlich Rechnung getragen wird.

Einige ausgewählte Erkenntnisse aus dem Bericht:

  • Viele Fördermassnahmen zu Bildung und Berufseinstieg kommen primär Geflüchteten bis 25 Jahren zu; für ältere Personen ist es viel schwieriger, ein Bildungsangebot in Anspruch zu nehmen. Wenn Geflüchteten über 25 Jahren aber eine Integration in den Arbeitsmarkt nur in Ausnahmefällen ermöglicht wird, liegt einerseits viel Potential brach, andrerseits gibt es für diese Personen kaum Perspektiven, von der Sozialhilfe unabhängig zu werden – es besteht das Risiko, dass Kosten für Sozialhilfe diejenigen der Bildungsmassnahme übersteigen!
  • Ob einer geflüchteten Person die Inanspruchnahme eines Angebots ermöglicht wird, ist von zu vielen zufälligen Faktoren abhängig: dem Wohnkanton, der Wohngemeinde oder der für die Person zuständigen Integrationsbegleitung. Es braucht Massnahmen, die dieser föderalistischen Lotterie ein Mindestmass an Fairness entgegensetzen – und unabhängige Beschwerde-, Schlichtungs- oder Beratungsstellen, an denen Entscheide angefochten werden können.
  • In einigen Kantonen stehen Sprachkurse und gewisse Bildungsangebote auch Personen ohne oder mit einem negativen Asylentscheid, die sich aber noch in der Schweiz aufhalten, zur Verfügung – damit erhalten auch diese Personen Perspektiven bei einer allfälligen Rückkehr und das Recht auf Bildung für alle wird ernst genommen.
  • In vielen Kantonen ist es für Geflüchtete sehr schwierig, Sprachkurse ab Niveau B1 zu besuchen, weil das Angebot eingeschränkt ist. Für viele Berufe ist aber ein Sprachniveau von A2 oder sogar B1 nicht ausreichend. Das Angebot an weiterführenden Kursen muss ausgebaut, niederschwelliger zugänglich gemacht und breit ermöglicht werden – auch auf dem Land. Das dies möglich ist, zeigen einige der untersuchten Kantone.

Anstatt eine Ausbildung zu ermöglichen, verlangen manche Flüchtlingsberatende, dass ohne Potenzialabklärung sofort eine einfache Arbeit gesucht wird, die den Weg aus der Armut blockiert. “In der Integrationsagenda ist der Grundsatz «Bildung vor Arbeit» verankert. Dieser wird aber in zu vielen Kantonen nicht umgesetzt”, gibt der Flüchtlingsparlamentarier Shishai Haile aus Eritrea zu bedenken. “Aber so wird dem Potential von uns Geflüchteten zu wenig Rechnung getragen!”

Ab sofort ist der Mapping-Bericht unter dem nachfolgenden Link abrufbar:
https://ncbi.ch/wp-content/uploads/MappingIAS_def_202402.pdf

Um die Ergebnisse des Berichts breiter bekannt zu machen und mit den zuständigen Stellen über vorbildliche kantonale Umsetzungen zu diskutieren, planen NCBI Schweiz und das Flüchtlingsparlament eine Tagung zur bisherigen Umsetzung der IAS im März 2025.

NCBI und das Flüchtlingsparlament danken dem Autor:innen-Team und allen Personen, die an der Studie mitgewirkt und deren Entstehung unterstützt haben, für die gute Zusammenarbeit.

Medienmitteilung, Sperrfrist: 5.7.2024
Kontakt: Andi Geu, andi.geu@ncbi.ch, 076 416 16 22

*Das National Coalition Building Institute NCBI (www.ncbi.ch) ist ein parteipolitisch und konfessionell neutraler Verein, der sich für die Inklusion von Geflüchteten, gegen Vorurteile und Diskriminierung sowie für Gewaltprävention und konstruktive Konfliktlösung einsetzt. NCBI Schweiz bzw. das Partizipationsprojekt «Unsere Stimmen» (www.unserestimmen.ch) haben 2021 unterstützt durch UNHCR Schweiz, die Schweizerische Flüchtlingshilfe SFH sowie weitere Partnerorganisationen das Flüchtlingsparlament Schweiz (www.flüchtlingsparlament-schweiz.ch) lanciert.

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